Die Quadratur des Online-Kreises – Seite 1

Seit einer Woche hat die New York T imes ihr Angebot im Internet hinter einer sogenannten Paywall, einer Bezahlschranke, versteckt. Es ist nicht ihr erster Versuch , so Geld zu verdienen und beileibe nicht der erste Versuch dieser Art im Netz überhaupt. Die Debatte über Sinn oder Unsinn solcher Bezahlmodelle ist Jahre alt. Doch am Beispiel der NYT zeigt sich exemplarisch, warum die Idee Paywall Murks ist.

Da ist zunächst das seltsame Preismodell : Wer sich die Zeitung aus Papier vor die Haustür liefern lässt, zahlt maximal 11,70 Dollar pro Woche, in den ersten drei Monaten sind es nur 3,10 Dollar bis 5,85 Dollar pro Woche, je nach der Anzahl der bestellten Tage. Das Internetangebot des Blattes gibt es kostenlos dazu. Wer aber nur das Netzmodell buchen möchte, zahlt zwischen 3,75 Dollar und 8,75 Dollar pro Woche, je nach technischem Gerät, mit dem er es nutzen will.

Richtig gelesen, je nach Gerät: Netz und Smartphone kosten 3,75 Dollar, Netz und Tabletcomputer fünf Dollar, Netz und Smartphone und Tablet kosten 8,75 in der Woche. Die Komplettversion ist also nur knapp drei Dollar billiger als die Sieben-Tage-Papierversion (bei der es Netz und Smartphone und Tablet dazu gibt). Es ist auch völlig unverständlich, warum ein Angebot für Tablets teurer sein muss als eines für Smartphones. Mehr Druckertinte wird auf dem größeren Bildschirm kaum gebraucht werden.

In seinem Brief an die Leser hat der Herausgeber des Blattes, Arthur Sulzberger, gar nicht erst versucht, das zu erklären. Er schreibt bei seiner Ankündigung des Modells lediglich, jeder könne sich das Angebot heraussuchen, das am besten zu ihm und seinen Geräten passe.

Den Blogger Danny Sullivan, der die viel zitierte Seite Search Engine Land betreibt, inspirierte das zu einer Satire des Herausgeberbriefes in seinem privaten Blog . Im Stile Sulzbergers beantwortet Sullivan die Frage, warum verschiedene Geräte verschiedene Preise bedingen mit dem Satz: "Weil wir es können? Kaufen Sie doch die Papierversion, Sie Schlauberger."

Das klingt sarkastisch, trifft aber den Kern: Das Bezahlmodell der NYT wirkt so, als solle es den immerhin 33 Millionen monatlichen Lesern, die das Blatt im Netz  hat, möglichst viel Geld abknöpfen und andererseits vor allem mehr Menschen dazu bringen, die Papierversion zu abonnieren. Es geht also nicht darum, ein tragfähiges Geschäftsmodell für Online-Journalismus zu finden, es geht darum, Lesern den Online-Journalismus abzugewöhnen.

Damit ist die Paywall vor allem ein Erziehungsversuch. Und zwar einer – so viel kann ohne Risiko vorausgesagt werden – der dem Blatt nicht helfen wird. Der Trend ist seit Mitte der neunziger Jahre eindeutig, in den USA noch viel stärker als in Europa: Weniger Menschen wollen ihre Nachrichten in Papierform erhalten , mehr wollen sie elektronisch lesen.

Das scheint auch dem Verlag der NYT klar zu sein. Das erste Paywall -Experiment, Times select , dauerte von 2005 bis 2007. Es wurde gestoppt, unter anderem weil die Artikel nicht mehr von Suchmaschinen gefunden werden konnten und der Zustrom von Lesern drastisch einbrach. Das soll diesmal anders sein.

Bezahlwand mit Absicht durchlöchert

Deshalb wurde die Bezahlwand absichtlich löchrig gebaut; zum Anfüttern sozusagen. Die Titelseite bleibt frei zugänglich, und jeder Nutzer kann zwanzig Texte im Monat frei online lesen – wobei ein Klick auf die Schaltfläche Druckversion oder auf die zweite Seite eines der meistens paginierten Texte im Zweifel mitzählt.

Außerdem können Texte gelesen werden, wenn sie über Suchmaschinen, Blogs, Twitter, Facebook und ähnliche Angebote gefunden wurden. Wer auf dort verbreitete Links klickt, kann die Inhalte lesen. Hierbei gilt nicht das "Zwanzig Texte im Monat"-Limit, sondern ein "Fünf Texte am Tag"-Limit.

Diese Politik bedeutet, dass jeder Link, der von außen kommt, Zugang bietet. Wie Danny Sullivan bloggt, diesmal bei Search Engine Land : " Want to read a New York Times article? Tweet it to yourself and click on it. Blog it. Whatever. If it’s a link on a page, you’re in, no limits. " Es genüge also, den Link des Artikels von der Homepage zu kopieren (Rechtsklick, Linkadresse kopieren), ihn sich selbst zu bloggen oder zu twittern – anschließend könne man den Text lesen. Ohne Beschränkung.

Doch es geht noch einfacher. Immerhin twittert das Blatt selbst und verbreitet so seine Texte via Link. Voilà . Sogar noch simpler: Einige Blogger haben schnell herausgefunden , dass es genügt, in der URL eines Textes einen bestimmten Teil zu löschen, um ihn anschließend lesen zu können. 

Warum jemand in der teuersten Variante 455 Dollar im Jahr zahlen soll, wenn er via Google News jeden Tag fünf Texte der New York Times problemlos lesen kann, ist schwer nachvollziehbar. Warum er sie bezahlen soll, wenn er im Zweifel sogar alle Texte lesen kann, ist unverständlich.

Hier zeigen sich die Tücken der Bezahlschranke: Wer den enormen Traffic durch Suchmaschinen und soziale Netzwerke nicht verlieren will, kann eigentlich keine Paywall aufbauen. Wer eine geschlossene Mauer baut, verliert viele Leser und damit Geld, das durch Werbung eingenommen wird. Denn umsonst sind Texte in Online-Medien ja nicht, nur für den Leser sind sie kostenlos.

Deshalb gibt es Stimmen, die argumentieren , das Modell der New York Times sei so ähnlich wie spenden durch Flattr oder Spot.us. Und es gibt Stimmen, die nach der Ethik des Ganzen fragen und überlegen, ob es moralisch vertretbar sei , über die Bezahlmauer zu springen, nur weil es technisch machbar ist. Eine abschließende Antwort darauf gibt es noch nicht. Ebenso wenig auf die Frage, wie sich Online-Journalismus finanzieren lässt.

Korrektur: Eine frühere Version des Textes bezog sich auf ein Werbeangebot der New York Times. Der erwähnte Preis für das Printprodukt von 5,85 Dollar pro Woche gilt nur für drei Monate, anschließend erhöht er sich auf 11,70 Dollar pro Woche. Damit bleibt die Printausgabe knapp drei Dollar teurer als die Online-Version, nicht billiger, wie zuerst beschrieben. Allerdings ist der Unterschied vergleichsweise gering angesichts der Papier-, Druck- und Vertriebskosten.